Procurement 4.0

Procurement 4.0 als Einkauf und Beschaffungslogistik im digitalen Zeitalter beschäftigt sich mit Technologie und Prozessinnovationen.

 

Definition: Was bedeutet Procurement 4.0?

Es liegt derzeit keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition für den Begriff Procurement 4.0 vor. Allerdings lassen sich drei Schwerpunkte erkennen:

  • gesteigerte Digitalisierung der Beschaffungsgüter von Unternehmen
  • Digitalisierung der Einkaufsabläufe mittels allumfassender End-to-End-Integration ohne Medienbrüche, d. h. die Vereinheitlichung der Abläufe und das Ablegen aller Daten in einer einzigen Datenbank zur Reduzierung des Fehlerpotenzials und Erhöhung der Datensicherheit
  • Möglichkeiten der unternehmensübergreifenden Vernetzung entlang der Lieferkette (Supply Chain)

 

Ausgangspunkt Industrie 4.0

Mit dem Begriff Industrie 4.0 wird die intelligente Vernetzung von Maschinen und industriellen Prozessen mittels Informations- und Kommunikationstechnologie beschrieben. Die Möglichkeiten der Nutzung durch Unternehmen sind zahlreich:

  • Flexible Herstellung: Produktionsschritte können durch digitale Vernetzung optimiert und Maschinenauslastung effizienter gestaltet werden.
  • Flexible Fabrik: Produktivität und Rentabilität werden optimiert, individualisierte Erzeugnisse können auch in kleiner Stückzahl zu erschwinglichen Preisen produziert werden.
  • Kundenzentrierte Lösungen: Anhand von Kundennutzungsdaten können Hersteller ihre Erzeugnisse optimieren und neuartige Dienstleistungen anbieten.
  • Optimierte Logistik: Intelligente Vernetzung ermöglicht einen idealen Warenfluss.
  • Einsatz von Daten: Die Zusammenführung und Auswertung von Daten zum Produktionsablauf und Produktzustand ermöglicht eine effizientere Produktherstellung. Zudem dient sie als Basis für komplett neuartige Geschäftsmodelle und Dienstleistungen.
  • Ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft: Die Wiederverwertung des Produktmaterials kann aufgrund von Datenanalyse zum Lebenszyklus des Erzeugnisses im Voraus geplant werden.

 

Procurement 4.0 als digitale Transformation der Beschaffung

Die digitale Transformation beschäftigt sich mit der Frage, was und wie zukünftig auf dem Feld der Beschaffung eingekauft wird.

Zur Optimierung ihrer Arbeitsprozesse benötigen Unternehmen digitale Beschaffungslösungen. Derzeit werden diese allerdings noch nicht konsequent und flächendeckend umgesetzt. Die digitale Transformation von Beschaffung orientiert sich an den Schlüsselmerkmalen der Industrie 4.0. Diese sind:

  • Echtzeitkommunikation
  • interne und externe Vernetzung
  • (künstliche) Intelligenz
  • Fähigkeiten des Einkaufspersonals (Prozessgestaltung und Prozesssteuerung statt Durchführung)[5]

 

Wie kann Procurement 4.0 strategische Impulse im Unternehmen setzen?

Procurement 4.0 weist eine Reihe von Potenzialen für die strategische Ausrichtung von Unternehmen auf. Dem stehen allerdings auch einige Risiken gegenüber.

 

Chancen für die strategische Beschaffung

Strategische Beschaffungsaktivitäten der Unternehmen widmen sich nicht nur den bestehenden Wertschöpfungsstrukturen (Value Chains), sondern umfassen die Bearbeitung, Eroberung und Gestaltung globaler Beschaffungsmärkte. Je früher Informationen und zukunftsorientierte Untersuchungen zu Märkten und Lieferanten vorliegen, desto größer ist der strategische Wettbewerbsvorteil. Auf diese Weise können Einsparungen generiert, Innovationen entdeckt und Risiken überwacht werden.

Procurement 4.0 birgt die Möglichkeit der Entwicklung neuer Alternativoptionen zu den Bestandslieferanten, der Schaffung von Wettbewerb, der Identifizierung neuer Produkte/Technologien, der Beobachtung von Markt- und Preisentwicklungstendenzen sowie der ökonomischen Verquickung von Globalisierung und Lokalisierung.

 

Risiken für die strategische Beschaffung

In der Beschaffung gilt: Die Verantwortlichen sind angehalten, Potenziale neuer Lösungen und Prozesse zu identifizieren und für strategische Anliegen zu nutzen. Bei aller Innovationsfreudigkeit sollte es allerdings nicht zur Vernachlässigung traditioneller Ansätze (z. B. persönliche Gespräche mit Partnern und Kunden) kommen.

Auch die Tatsache, dass Arbeitsplätze in Beschaffung, Produktion und Logistik – zumindest zeitweise – aufgrund der zunehmenden Automatisierung wegfallen könnten, kann als Risiko angesehen werden. Dies nicht zuletzt, weil die Wahrung des Ansehens eines Unternehmens zu den strategischen Beschaffungszielen zu zählen ist und Entlassungen rufschädigend wirken können.

 

Wie kann die Digitalisierung genutzt werden, um operative Beschaffungsprozesse effizienter zu gestalten?

Für die Effizienzsteigerung der Einkaufsfunktionen ist die Definition des Aufgabenportfolios durch die Einkaufsabteilungen von Bedeutung. Zudem muss eine Identifizierung der spezifischen Bereiche erfolgen, die einer digitalen Transformation unterzogen werden sollen. Der Fokus liegt hier auf den Anforderungsprofilen einzelner Einkaufsbereiche. Diese werden mit den zur Verfügung stehenden Systemen abgeglichen. Eine individuelle Kategorisierung der unterschiedlichen Einkaufsfunktionen ist angezeigt.

 

Optimierungsmöglichkeiten im strategischen Einkauf

Durch die Digitalisierung kommt es zu einer Verschlankung, Beschleunigung und Qualitätsverbesserung der Arbeitsabläufe dank technologischer Neuerungen. Dies geschieht anhand der Übernahme exakt abbildbarer Regelwerke durch IT-Systeme. Diese ersetzen Mitarbeiter bei der Durchführung sich wiederholender, zeitintensiver und fehleranfälliger Arbeitsschritte. Hierdurch wird eine konstant hohe Daten-, Analyse- und Entscheidungsqualität gewährleistet. Kürzere Durchlaufzeiten und deutlich niedrigere Personalkosten sind das Resultat.

 

E-Sourcing und RfX

E-Sourcing ist eine Beschaffungsmethode, anhand derer alle Lieferantendaten und Angebote auf einem zentralen Software-Portal gesammelt werden. Auf diese Weise kann das Procurement-Team alle für Beschaffungsentscheidungen notwendigen Informationen aus einer einzigen Quelle einholen. So können Beschaffungsvorgänge effizienter gestaltet,  bestmögliche Produkte eingekauft und Kosten gesenkt werden.

RfX ist ein allgemeinerer Begriff für „Request for Information“ und umfasst die Konzepte Request for Information (RFI), Request for Proposal (RFP) und/oder Request for Quote (RFQ).

RFX-Technologien weisen nicht nur die Vorteile einer Prozessautomatisierung und eines zeiteffizienteren Beschaffungszyklus auf. Sie umfassen auch:

  • eine Verbesserung des Arbeitsablaufs
  • ein zentralisiertes Archiv für alle Projektinformationen
  • Vorlagen zum bestmöglichen Vorgehen
  • Untersuchungsmöglichkeiten
  • standardisierte Abläufe als Grundlage für Einkaufprozesse

 

Optimierungsmöglichkeiten im Vertragsmanagement

Digitalisierung im Vertragsmanagement kann Unternehmen bei der ordnungsgemäßen Handhabung der zahlreichen Verträge mit Lieferanten und Kunden unterstützen. Damit einhergehende interne Prozesse können u. a. durch folgende Optionen nachhaltig optimiert werden:

  • Fristenmanagement: Digitale Vertragsverwaltung ermöglicht eine zuverlässige Fristenkontrolle und Terminverwaltung durch automatische Erinnerungen und Weiterleitungsfunktionen an die verantwortlichen Mitarbeiter.
  • Schnittstellen: Durch die Integration von Drittsystemen über Schnittstellen lassen sich unnötige Doppelerfassungen vermeiden. Zudem erfolgt eine Übernahme von Dokumenten aus den Abrechnungssystemen direkt und automatisiert über entsprechende Schnittstellen.
  • Volltextsuche: Ein zentraler Vorteil digitaler Verträge ist die Möglichkeit, diese einfach zu durchsuchen – sowohl nach Schlagworten als auch nach ganzen Sätzen.
  • Dokumenterstellung: Eine integrierte Dokumenterstellung vereinfacht den Ablauf und ermöglicht das Verfassen von Unterlagen direkt in der Akte. In dieser wird das Dokument abgelegt und aus ihr lassen sich die notwendigen Vertragsdaten unkompliziert übernehmen. Das neu erstellte Dokument kann direkt aus dem System per E-Mail versendet werden.

 

Optimierungsmöglichkeiten für Lieferantenmanagement, Lieferantenbewertung und Risikomanagement

Mit neuen Technologien wie beispielsweise Cloud Computing (internetbasierte Zurverfügungstellung von Applikationen, Datenzentren etc. gegen Bezahlung) oder Big Data sorgt die Digitalisierung für Optimierungsmöglichkeiten im Lieferantenmanagement, bei der Bewertung von Lieferanten und beim Risikomanagement. Dadurch kommt es zu:

  • Beschleunigung und Automatisierung der Integration der Lieferkette durch Systemunterstützung
  • Antizipation der Lieferantenrisiken und Angebot an Lösungsoptionen in Echtzeit
  • erhöhter Transparenz und Messbarkeit anhand der Analyse und Leistungsmessung der Lieferkette
  • radikaler Rekonfiguration ganzer Lieferketten
  • vollkommener Ortsunabhängigkeit durch Cloud Computing für eine nahtlose Integration und Automatisierung operativer Prozesse im Einkauf (ermöglicht schnelle und reibungslose Bewertung und Einbindung von Lieferanten)

 

Optimierungsmöglichkeiten im Management von Lieferantennetzwerken

Zur Optimierung von Lieferantennetzwerken eignen sich unterschiedliche Mittel. Zu diesen zählen unter anderem prognostische Ansätze, Echtzeitsysteme und das Instrument der Lieferantenanbindung.

 

Prognoseanalysen

Auf Big Data basierte Ansätze identifizieren auf der Grundlage statistischer Modelle und Algorithmen Beziehungen in historischen Daten und ermöglichen das Ableiten von Aussagen hinsichtlich künftiger Entwicklungen.

Das Nutzenpotenzial solcher Vorhersageanalysen für das Management von Lieferantennetzwerken liegt somit in der Erzeugung automatisierter, statistisch abgesicherter Prognosen auf Grundlage von internen sowie externen Daten, die eine höhere Genauigkeit aufweisen als traditionell erstellte Vorhersagen.

 

Echtzeitsysteme

Ein weiteres Optimierungswerkzeug sind Echtzeitsysteme. Deren Einsatz in Lieferantennetzwerken dient der Verfügbarmachung von Prozessdaten für alle relevanten Netzwerkpartner – ohne merkliche Verzögerung. Das Optimierungspotenzial dieser Technologien in Lieferantennetzwerken besteht in erster Linie in der deutlich rascheren Durchführung der Produktionsplanung und -steuerung.

 

Lieferantenanbindung

Digitalisierung ermöglicht die Optimierung von Material- und Informationsflüssen zwischen Unternehmen und Lieferanten, im Zuge derer es anhand logistischer Lieferantenanbindung zu einer Verzahnung der Planungs-, Lieferungs- und Produktionsabläufe zwischen Lieferant, Spediteur und Abnehmer kommt.

In diesem Zusammenhang kann zwischen sieben aufeinander aufbauenden Digitalisierungsstufen differenziert werden: Die ersten drei Stufen dienen der Schaffung grundlegender Standards für die Digitalisierung und Effizienzsteigerung bestehender Abläufe. Die vierte und fünfte Digitalisierungsstufe umfassen die Beschreibung von Verzahnungsmechanismen in Bestell- und Lieferverhalten, Gütertransport und Fertigung, welche mittels Digitalisierung möglich werden. So kommt es zum Beispiel zur Optimierung der Auslastung der Herstellungs- und Transportkapazitäten zwischen Lieferant, Spediteur und Abnehmer mittels dynamischer Konvergenz. Die letzten beiden Digitalisierungsstufen bezwecken die Erhöhung der Effizienz des Planungssystems anhand der Transformation in ein System dezentraler Datenhaltung und Entscheidungsfindung.

 

Optimierungsmöglichkeiten im operativen Einkauf

Die Digitalisierung der operativen Einkaufsprozesse stellt die Grundlage für das Handeln in Echtzeit dar. Im Einkauf ist die externe Vernetzung von zentraler Bedeutung. Durch den raschen Austausch von Informationen und die Synchronisierung von Daten mit Lieferanten und Geschäftspartnern werden relevante Nachrichten sofort übermittelt und gelangen an die passende Stelle im Unternehmen. Hieraus entstehen Wettbewerbsvorteile, etwa hinsichtlich der frühzeitigen Identifizierung von Preistrends. Dies erleichtert die Abschätzung des adäquaten Zeitpunkts für einen Einkauf.

 

eProcurement und Procure-to-Pay

eProcurement bezeichnet den elektronischen Einkauf von Waren bzw. Dienstleistungen vonseiten eines Unternehmens mittels digitaler Netzwerke. Netzwerkbasierte Informations- und Kommunikationstechnologien werden zur Unterstützung bzw. Durchführung operativer sowie strategischer Aufgaben in der Beschaffung einbezogen. Beschaffungslogistik und Lieferanteneinbindung stellen weitere wichtige Aspekte dieses Ansatzes dar.

Der Begriff Procure-to-Pay (auch Purchase-to-Pay) bezeichnet jegliche unternehmensinternen Prozesse, von der Beschaffung bis zur Rechnungsbezahlung. Seinen Anfang nimmt dieser Vorgang bei der Bedarfsmeldung, er erstreckt sich über die Bestellung und Lieferung bis hin zur Bearbeitung der Rechnung. Im Zentrum dieser Abläufe stehen die Transaktion der Daten (Bestellung, Auftragsbestätigung, Rechnung etc.) zwischen Kunden und Zulieferern sowie die Prozesse der Prüfung und Freigabe innerhalb der Unternehmen.